Hans Castorp fragt sich, an wen ihn Chauchat mit ihren „schmalen Augen und breiten Backenknochen“ erinnere “, kann aber die Frage nicht beantworten (S. 133, 29 – 33). (1) Als er abends vorzeitig ins Bett geht und schließlich einschlummert, träumt er von Schulhof und Chauchat (S. 140, 15 – 24). Er reißt „ sich gewaltsam aus dem Traum empor, denn nun hatte er es und wollte es festhalten, woran und an wen sie ihn eigentlich so lebhaft erinnerte “ (S. 140, 24 ff.). Erst bei der Schilderung einer tiefen traumähnlichen „Entrücktheit“ Castorps am Gießbach auf der Bank (S. 183, 14 – 188, 32; 585, 18 f.; 587, 26 f.) wird der Name genannt. Pribislav erscheint ihm geradezu leibhaftig und Chauchat „merkwürdig“ ähnlich (S. 189, 7 – 10; vgl. auch S. 223, 31 - 224, 10; 224, 16: "als Frau Chauchat"; 322, 11; 322, 22 - 29; 365, 4 f.; 439, 15 - 19; 517, 30 - 33; 518, 5 - 14). Castorp bringt bei einer solchen Ähnlichkeit schon die zeitliche Abfolge seines Interesses durcheinander (S. 189, 10 ff.).Unterschiede im Verhalten der Beiden müssen seiner Meinung nach mit der Krankheit Chauchats zusammenhängen (S. 191, 7 – 24). Die Krankheit Chauchats stellt sie wiederum gleich mit Hippe (S. 198, 2 - 13: Fortpflanzung).
Die Nähe Hippes` zu Chauchat ist offensichtlich. Dies mag auch der besondere Hinweis im Text unterstreichen: „Als Merkwürdigkeit kam hinzu, daß das r dieses Vornamens wie sch auszusprechen war: es hieß „Pschibislav“; und dieser absonderliche Vorname stimmte nicht schlecht zu seinem Äußeren, das nicht ganz durchschnittsmäßig, entschieden etwas fremdartig war“ (S. 184, 8 – 12) (2). Allerdings lenkt das von der Erklärung des Namens "Pribislav Hippe" ab. Wie bei Clawdia Chauchat spielt die englische Sprache die entscheidende Rolle. Nimmt man beim Namen Pribislav die Buchstaben P und R gesondert, liest man PI –A. Das nächste Wort ist „ Ibis“. Der „Ibis“ ist „Angehöriger einer Familie kleiner Schreitvögel mit sichelförmig abwärts gebogenem Schnabel“ (3). Die „Hippe“ ist ein „Gartenmesser mit sichelförmiger Klinge“ (4). Nun ist in mythologischer Anspielung Ibis der „heilige Vogel“ des Thot, der besonders für Wissen und Schrift zuständig ist und selbst in Ibisgestalt auftritt (S. 789, 6 - 27). (5). Er passt also zum „notorischen Musterschüler“ Hippe (S. 184, 13 f.) und als Schreiber des Totengerichts zu Rhadamantes ( Behrens) und Minos (Krokowski) - und überhaupt in den „Zauberberg“ als Gott des Messens, der Zeit u.v.a. Seine „Hippe“ ist ein scharfes Werkzeug - mythologisch überhöht „Sense des Todes“ - und entspricht der „Kralle“ von Clawdia. Die Frau des Thot ist „ Seschat“, ein weiteres (schwächeres) Indiz für die mythische Verbindung Hippe – Chauchat.
Nun ist die Silbe „lav“ noch nicht erklärt. Fassen wir „lav“ als Lautschrift auf, ergibt sich das englische „love“ (Liebe, Geliebter). Die Erklärung des Namens Pribislav Hippe führt also zu der Wortfolge: Pia Ibis – love – Hippe: Heilige(r) Ibis – Geliebter (Liebe) – (mit der) Hippe.
In Übereinstimmung damit befinden sich die im Text erörterten Gründe für die „Teilnahme“ Castorps an Pribislav Hippe (S. 185, 8 – 15): heidnischer Vorname, Musterschülertum, Kirgisenaugen (das „Schleierig – Nächtige“). Auch die Frage , wie die Empfindungen Castorps für Hippe „notfalls zu benennen gewesen wären“ (S. 185, 17 f.), erklärt der Name: Es ist die einseitige (und besondere) Liebe zu Hippe, bei der man nicht denkt, dass sie „zur Sprache gebracht werden könnte“ (S. 185, 22) und als „inneres Gut“ vor einer namentlichen „Bestimmung und Unterbringung ein für allemal geschützt sein sollte“ (S. 185, 27 f.).
Die Differenzierung zwischen Hippe und Chauchat und die Liebe Castorps zu ihnen, die „realiter“ im Roman erfolgt, wird also durch die Namensgebung „ Pribislav Hippe“ mythologisierend aufgehoben: Hans Castorp liebt hinter Pribislav und Clawdia den Tod. Diese "Sympathie mit dem Tode" zeigen schon Castorps Besuche der Moribunden (zur Motivation: S. 448, 2 ff.; 455, 16 - 21; 475, 21 - 30), sein "Interesse für traurige und erbauliche Dinge" (S. 282, 30 f.; 167, 30 - 168, 25; 304, 1-7; 449, 3 - 7; 459, 32 ff.; 485, 10 f.; 519, 6 - 14; 677, 29) und sein Großvater, der "immer in Schwarz" ging, "der Vergangenheit und dem Tode zu Ehren, denen sein Wesen angehörte " (S. 236, 9 - 14; 333, 10: Siegelring des Großvaters; 444, 20 ff.; 447, 1 - 5; 589, 9). Anmerkungen:
1. Thomas Mann, Der Zauberberg, s. Anm. oben.
2. Kommentarband, s. Anm. oben, S. 177.
3. Wahrig, s. Anm. oben, S. 669, s.v. „Ibis“.
4. Wahrig, S. 647, s.v. „Hippe“.
5. Der Kleine Pauly, Band 5, Sp. 776 f. (Thot), dtv 1979.