Spuren im „Zauberberg“: Knut Hamsun, Benoni (1908). Rosa (1908)
Der Name „Ellen“ stammt aus den Romanen Hamsuns. Die Verknüpfung „Spuk mit Glas“ im Roman „Benoni“ führt zur spiritistischen Sitzung im „Zauberberg“. Die Kombination „Ellen – Wächter Sven“ dient als Inspiration für die Verbindung Ellen – Schutzgeist. Icherzähler Student Parelius im Roman „Rosa“ bringt Castorp und Behrens zum Malen und Wehsal zum Klavierspielen. Das Klavier „instrumentalisiert“ den Nähtisch zum Grammophon. (1)
Von Ellen, dem jungen Stubenmädchen Macks, ist in Hamsuns beiden Romanen vielfach die Rede(B 50, 17; 51, 24 ff.; 55, 30 ff.; 78, 14 – 23; 79, 26; 80, 5 – 15;B 104, 17 – 21; 105, 11 – 18. 28 – 32; 106, 35 – 108, 5. 23 ff.; 125, 16 – 126, 22. 31 ff.; 127, 29 f.; 130, 8 f.; 130, 24 – 131, 2. 10; 145, 33 – 147, 13; 155, 16 – 25; 164, 5 – 8; 164, 34 – 168,3; 187, 25 – 34; 191, 7 – 14; 224, 19 – 25; 226, 29 – 34; 232, 23 – 26; 233, 1 – 22 - R 276, 7; 283, 16; 283, 15 – 284, 12; 285, 20; 346, 21 – 36; 375, 18 – 376, 13). „ Sie war so schlank, und Ellen war ihr kleiner Name, sie war ein herrliches Menschenkind. Wenn er (sc. Wächter Svend) etwas Zärtliches zu ihr sagte, drückte sie die Augen zu und war verliebt, sie auch. Alles war reizend an ihr: Du hast so kleine und kalte Hände, es ist gut, sie zu halten und zu wärmen, sagte er. Außerdem ist Ellen so leicht auszusprechen, es ist ein dänischer Name“ (B 80, 8 – 14). Wächter Svend hilft in allem (B 105, 10 – 16. 28 – 32). Er verliebt sich in Ellen und heiratet sie später. Wächter Svend „war früher ein guter Sänger und Tänzer gewesen“ (R 346, 29 f.). Er singt das Lied von den Sorosimädchen (B 128, 25 – 129, 30; Wächtergesang B 74, 4 - 10). Sie haben einen Knaben „mit braunen Augen“ (B 233, 28; B 224, 22 f.; R 346, 32 f.).Wächter Svend setzt bei schönem Mondschein eine Glasscheibe an der Haustüre eines Schullehrers ein, so dass der wohl glaubt, „es sei ein Spuk“ (B 64, 31 – 65, 5; 111, 3 ff.). Über Ellens Eskapaden ist Sven „traurig und schwermütig“ (B 163, 15).
Von hier aus ist es kein weiter Weg zur Ellen – Episode im „Zauberberg“:
Ellen Brand ist Dänin (Zb 993, 10.30). Holger ist „etwas wie ein Schutzgeist der kleinen Ellen “ (Zb 998, 15). Er flüsterte Ellen die Aufgaben des Gesellschaftspiels ein, „die Schattenlippen liebkosend an ihrem Ohr, so daß es leise kitzelte und zum Lächeln reizte …“ (Zb 998, 17 f.). Holgers „Stand und Geschäft bei Lebzeiten“ ist zwar nicht Sänger und Tänzer, liegt aber im künstlerischen Bereich. Holger lässt offen, ob er ein „lyrischer“ Dichter ist (Zb 1004, 2 – 5), der in der Antike bekanntlich auch singt und tanzt. Er hat „schöne braune, braune Locken“ (Zb 1004, 33; 1015, 15): Die Verdopplung nimmt das Verwunderliche mit, dass das Kind Ellens im Roman „Rosa“ braune Augen hat, nicht blaue wie die Eltern (R 346, 32 – 36; B 224, 20 – 25; 233, 28 f.; 234, 2 f.). Das Herbeiholen Ziemßens ist wie eine Geburt (Zb 1026, 3 – 1031, 32). Wichtiges Requisit der Séance ist ein „Glas“ (Zb 1001, 11 – 1005, 20). Holger lächelt „sanft und melancholisch“ (Zb 1015, 16).
Schon bei Hamsun wird Glas also mit Wächter und Spuk in Zusammenhang gebracht. Der Grund für die Weiterentwicklung zu einer spiritistischen Sitzung ist gelegt. (2) Auch das Motiv der RechtschreibschwächeHolgers ist dem Roman „Rosa“ zu entnehmen: Der Icherzähler bringt Hartvigsen „etwas Rechtschreibung“ bei (R 239, 29) und den Kindern die Buchstaben (R 334, 6 – 9). Der Hinweis, dass der Spuk an der Haustüre eines Schullehrers stattfindet, unterstreicht dieses Motiv noch. Holger wird mit der Schule in Verbindung gebracht: Zb 998, 19 - 25 (Einsagen); 1015, 21 (Schulstrafe "Tatze").
Die Zusammenstellung ermöglicht einen Blick in die Werkstatt des Romanschriftstellers. Wir dürfen uns die Einführung und Entwicklung der spiritistischen Sitzung im „Zauberberg“ so vorstellen:
1. Hamsuns Verbindung „Spuk mit Glas“ führt ungezwungen zum Spiritismus.
2. Studium der Fachliteratur und Teilnahme an spiritistischen Sitzungen (3)
3. Auswahl des Verhältnisses Ellen – Wächter Sven als Gestaltungsfeld
4. Der Name Ellen wird übernommen und ausgedeutet (Helena). Aus Wächter Sven wird der Schutzgeist Holger entwickelt: Der Name Holger eröffnet weitere Kompositionsräume (4).
5. Anreicherung durch „Rückgriff“ auf Ellens frühere Erlebnisse. Auch hier gibt es einen Bezug zu Hamsun (5).
6. Verklammerung mit der Handlungskonzeption des „Zauberbergs“ : am Anfang durch ein gängiges Gesellschaftsspiel und am Ende durch das Erscheinen Joachims.
Der Icherzähler im Roman „Rosa“, Student Parelius (R 219, 34 f.), kann „ zeichnen und malen:“…ich zeichnete besser als mancher Maler und malte besser als alle Zeichner. Tidemand – Tidemand war in meinem Haus gewesen und hatte meine Bilder gesehen und genickt! Damals war ich neunzehn Jahre alt“ (R 343, 12 – 16; 267, 10 ff.). Neben Macks Großstube (R 260, 29), Rosas Rotweinglas (R 260, 33; 299, 28 – 300, 14), Haus und Bootsschuppen von Hartvigsen (R 220, 22 – 221, 3.12 ff.), Häuser mit Gemeindewald (R 256, 28 – 41), Blick aus dem Fenster (R 394, 6 – 12), Winterbild (R 403, 33 f.), malt Parelius auch Schiffe (R 221, 20 ff.). Der junge Castorp wird uns im „Zauberberg“ mit seinen Malkünsten und Talent zum guten Marinemaler vorgestellt (Zb 55, 4 – 21). Dort ist es ein „irgend jemand“ (Zb 55, 16 f.), der sein Talent erkennt. Auch Behrens malt „Landschaften, Stilleben, Tiere“ und Porträts (Zb 386, 5 – 20).
Dies führt uns weiter zum Motiv des Vorführens von Bildern:
Hofrat Behrens zeigt Castorp und Ziemßen seine Bilder in der Wohnung (Zb 386, 5 – 405, 10). Im Roman „Benoni“ geht der Leuchtturmwächter Schöning herum und betrachtet die Bilder in der Wohnung Macks (B 56, 22 f.; vgl. auch R 224, 34 f.). Mack unterhält sich mit ihm (B 57, 17 – 58, 14; 59, 15 – 60, 9).
Das merkwürdige Gespräch zwischen Mack und dem „idiotischen“ Leuchtturmwächter mit seinen vielen Worten vor den Gemälden findet einen Niederschlag im „Zauberberg“: „Beide, Behrens sowohl wie Joachim, sahen ihn (sc. Castorp) an, ob er sich dessen nicht schäme, was er da aus dem Stegreif zusammengeredet“ (Zb 395, 14 ff.).
Der Leuchtturmwächter spricht von dem Gewächs „Asphodelos“, neben dem nichts anderes wächst und die Erde tot ist. Er hat es in Griechenland gepflückt (B 59, 33 – 60, 6). Dr. Krokowski spricht von der „seit dem klassischen Altertum“ berühmten Morchel mit dem Beinamen impudicus (Zb 551, 12 – 21; Morchel: Zb 397, 6). Die Pflanzen sind verschieden, und doch ist beiden etwas gemeinsam: der Bezug zum Tod.
Bei der Besichtigung in Macks Wohnung fehlt das Bild seiner verstorbenen Frau. Die „Abweichung“ von der Bildergalerie bei Behrens lässt sich dadurch erklären, dass Mack ja keine selbstgemalten, sondern ererbte Bilder besitzt (B 58, 16 ff.). Gerade diese „Lücke“ wird im „Zauberberg“ ausgefüllt durch den Einfall, Behrens malen zu lassen und dies ausführlich zu thematisieren (Zb 317, 5 – 318, 13; 319, 20 - 25; 509, 3 – 9; transparentes Porträt – Außenporträt: 514, 33 – 515, 10). Damit wird es möglich, ein Porträt von Castorps Geliebten Chauchat in die Bilder einzureihen. Der Besuch Castorps (und Ziemßens) bei Behrens ist so voll motiviert.
Auch das Porträt von Frau Behrens weist über sich hinaus: