Spuren im „Zauberberg“ : Friedrich Huch, Pitt und Fox (1909)
„Schnickschnack“, ein Lieblingswort von Oberin Mylendonk, findet sich in Huchs Roman. Vorbild für „Frau Stöhr“ ist Fräulein Nippe. (1)
Ein Lieblingswort neben „Menschenskind“ ist bei Oberin Adriatica von Mylendonk „Schnickschnack“ (Zb 254, 31; 255, 9.10; 256, 4; 656, 20; 792, 22.33; Castorp 262, 5; 318, 5). Dieses Wort verwendet Frau Bornemann in Huchs Roman, als ihre Enkelin Lotte Pfanz das feine Leder von Foxens Koffer beim Einzug ins Zimmer bewundert (PuF 101, 112; vgl. auch 147, 29 f.).Thomas Mann hört im Wort „Schnickschnack“ die Abfolge der Vokale i – a heraus: „(Das Wort „Schnickschnack“ nahm sich ganz abscheulich und abernteuerlich aus in ihrem Munde, wie sie es mit der Unterlippe schaufelnd hervorbrachte“ (Zb 254, 32 ff.; 19 f.). Das „Hasengesicht“ von Frau Bornemann (PuF 112, 31 f.; auch 100, 21 ff.) passt zu dem von Thomas Mann so verstandenen Wort „Schnickschnack“ nicht, wohl aber zu einem Esel. Entsprechend bekommt die Trägerin des Wortes „Schnickschnack“ im „Zauberberg“, Fräulein von Mylendonk, Züge und Namen eines Esels („Mühlenesel“). Das feine Leder von Foxens Koffer führt überdies dazu, dass Mylendonk beim Verkauf des Thermometers „zwei längliche Lederetuis zum Vorschein“ bringt (Zb 256, 9). (2)
Das „Hasengesicht“ von Frau Bornemann kann deshalb eine andere Verwendung finden. Frau Stöhr hat „Hasenzähne“ (Zb 70, 12; 116, 11) und enblößt „die Hasenzähne störrisch“ (Zb 483, 1; 547, 17 f.). Mit „störrisch“ (Zb 120, 26; 263, 31) signalisiert Thomas Mann (etymologisch unrichtig),dass hinter Stöhr „Stör“ zu lesen ist. (3)
„Stör“ bezeichnet sowohl den Namen eines Fisches als auch eine „ tageweise Arbeit im Hause des Kunden“. (4)
Woher kommt dieser Fischname „Stör“?
Anregung hierfür ist ein Gespräch über Fische in Huchs Roman: „Was ist dies für ein Fisch? fragte sie (sc. Fräulein Nippe) und deutete auf das viereckige grauhäutige Stück auf ihrem Teller. Pitt überhörte dies, aber sie faßte ihn am Ärmel. – Das ist eine Forelle! – Wie interessant! Sie nickte zartfühlend, als habe er ihr etwas Diskretes mitgeteilt. – Schafskopf! rief Herr Sintrup mitten aus seinem Gespräch heraus, Steinbutt ist es. Ist es etwa das erstemal, daß du einen Steinbutt zu Gesicht bekommst? Haben wir den nicht oft zu Hause gegessen, und Forellen womöglich noch öfter? Er erklärte den Namen Steinbutt und forderte Fräulein Nippe auf, die Haut zu untersuchen, da fände sie die Steine drin. Fräulein Nippe fand sie wirklich, war aber im Zweifel, ob das nicht eine neue Irreführung sei, und äußerte sich nicht weiter“ (PuF 54, 15 – 30).
Frau Bornemann bekommt zum Geburtstag von Fox einen Hummer (PuF 109, 1), zu dem sie eine „Soße“ bereitete (PuM 109, 6). Ihre Enkelin Lotte isst gerne Fische (PuF 109, 13 – 18).
Der „Fischname“ Stör und die 28 Fischsaucen(Zb 129, 2 – 10; 132, 32 – 133, 17) haben hier ihren Ursprung.
Fräulein Nippe ist nun mit Frau Stöhr nicht nur dadurch verbunden, dass sie nach dem Namen eines Fisches fragt. Auch Nippes Zuordnung zu Haus und Heim wird von Frau Stöhr übernommen.
Fräulein Nippe (später Feihse) bemüht sich um eine Stelle als „Hausdame“ bei Sintrup (PuF 54, 10 f.; 59, 24; 61, 28; 62, 8.17; 63, 27 – 64, 4). Sie bringt den Haushalt des Witwers Sintrup in Ordnung (PuF 387, 26 – 388, 5) und bleibt mit ihren „Muttertalente(n)“ bei ihm (PuF 390, 30 – 391, 25).
Frau Stöhr kommt beim Fasching als „Scheuerweib“ (Zb 495, 1 – 7). Sie tanzt mit ihrem Besen (Zb 510, 8 – 11). (5) Auf Heim und Familie wird öfters hingewiesen (Zb 28, 31; 230, 19.33; 523, 26 - 31; 756, 24 – 27; „Kinderstube“: 442, 25 „Kindertrompeten“: 490, 9).
Frau Stöhr und Fräulein Nippe haben also einen gemeinsamen Bezug zur Häuslichkeit. Dies drückt sich schon in ihren Namen aus: Nippes sind „Putzsachen“ und Stöhr (ohne –h-) bezieht sich ebenfalls auf Hausarbeit. Die „Vokaldehnung durch h“ soll unserer Auffassung nach den phonetischen Weg zum Schriftsteller Hermann Stehr eröffnen. (5)
Nicht nur die Häuslichkeit, sondern eine defizitäre Bildung zeichnen beide aus.
Herr Könnecke, dem Fräulein Nippe den Haushalt führt, bemerkt, dass sie manchmal so übertrieben sei in ihren Ausdrücken (PuF 36, 25 f.; vgl. auch ihre folgende Rede: 36, 28 – 37, 9). „Wo ich erscheine, verbreite ich Behaglichkeit und Vergnügen“ (PuF 39, 26 f.). „Zu Anfang war es ihm (Pitt), als befinde er sich in einem Lustspiel; nach und nach erfuhr er ihre ganze Lebensgeschichte, an die sie Sentenzen mit verfehlten Bildern knüpfte“ (PuF 40, 5 – 8; auch PuF 210, 7 – 211, 5; 270, 16 – 26; 285, 6 – 26; 288, 12 – 27; 360, 1 ff.) Nippes Sätze zeigen „einen so getragenen Stil der Empfindung“ (PuF 212, 14 f.). „Und dann redete sie (Fräulein Nippe) von den schwülen Sommernächten, in denen man sich ruhelos auf seinem Lager wälze, so daß das Bettuch am nächsten Morgen ganz zerknüllt sei: Poesie und Prosa wohnen so dicht beisammen, und die Dinge sehen am Tage anders aus, als wenn man sie durch die Brille eines bengalischen Lichtes betrachtet! “ (PuF 55, 13 – 19).
Bei Frau Stöhr soll an ihre Auslassungen über Husten und Frostbeulen erinnert werden (Zb 263, 32 – 264, 16).“Fluchtartig haben Sie das Panier ergriffen“ (Zb 229, 22). „Ach, es sind Tantalusqualen. Man schiebt und schiebt, und glaubt man, oben zu sein …“ (Zb 229, 33 f.). „Frau Stöhr glaubt, daß >Leise, leise, fromme Weise<. im >Tannhäuser< vorkommt “ (Castorp: Zb 447, 32 f.); “Ring des Polykrates“ als Aufhänger für Geschichtszahlen (Zb 622, 31 f.).
Frau Stöhr hat außerdem im Gebrauch von Fremdwörtern ein Vorbild: Fräulein Nippe preist die „gentile Großmut“ von Vater Sintrup (PuF 64, 26 f.), gibt ihr Einverständnis mit „Träbong“ (PuF 147, 22). Herrn Feihses Wohnung ist mit allem „Kongfohr““ ausgestattet“ (PuF 277, 24 f.). Beispiele von Frau Stöhr.: „Fomulus“ (29, 1; 149, 22); „Sterilett“ (29, 4 f.); „kosmische Anstalt“ (Zb 149, 22 f.); „Tempus“ (Zb 263, 6); „equivok“ (Zb 438, 29); „Agonje“ (Zb 451, 30); „obskur“ (Zb 551, 27 f.); „Affektation“ (Zb 622, 29); „Erotika“ (Zb 813, 3); „Geldmagneten“ (Zb 835, 4 f.).
Fräulein Nippe gibt Herrn Feihse Literaturtipps: Kampf um Rom, Faust, Hasemanns Töchter, Shakespeare (PuF 280, 31 – 283, 2). Frau Stöhr empfiehlt Settembrini „Benedetto Cenelli in der Übersetzung von Schiller“ (Zb 452, 4 f.). Noch näher dazu liegt Herr Sintrup: „Wird in Ihrem Theater viel Schiller gegeben? wandte sie (sc. Nippe) sich an Herrn Sintrup. – Jawohl! Räuber, Don Cesar, Tell – das wird alles bei uns gegeben!“ (PuF 63, 17 – 20).
Andere gemeinsame Motive sollen noch genannt werden:
Lotte will ihren Geliebten Fox verabschieden, wird aber von Frau Bornemann daran gehindert. „Ich will ihm wenigstens nachsehen! Rief Lotte, und Frau Bornemann konnte es nicht verhindern, daß sie zum Fenster lief.“ (PuF 145, 30 ff.) Auch Castorp ist nicht direkt bei der Abreise Chauchats dabei, sondern sieht von einem Korridorfenster aus zu (Zb 526, 11 – 14; 527, 14 f.)
Frau Sintrup isst sich zu Tode (PuF 259, 17 - 30). Fritz Rotbein beschleunigt sein Ende mit „heimischen Leckerbissen“ (Zb 165, 19 – 25).
„ In diesem Augenblick zog Fräulein Nippe ein Tüchlein aus der Tasche, das sie zu einer kleinen Kugel zusammenpreßte und zum Munde führte, indem sie mit dem Ausdruck eines scheuen Rehes auf Herrn Feihse blickte“ (PuF 283, 15 – 20). Marusja hält „das Apfelsinentüchlein gegen die Lippen gepreßt“ (Zb 263, 11 f.; auch 112, 19 f.; 116, 1 f.; 205, 2 f.; 225, 31; 232, 21; 641, 2).
Herr Sintrup „drohte Pitt mit dem Finger“ (PuF 66, 6 f.). Castorps Tischgesellschaft droht ihm „mit den Zeigefingern“ (Zb 262, 30 – 263, 18).
Vorgänger im Bett wird erwähnt: Totenbett (PuF 113, 7 f.; Zb 23, 6 – 18)
Fox entschließt sich. „das Zungen – R des Herrn von Sander und der Bühne überhaupt anzunehmen: zunächst erschien es ihm affektiert und unnatürlich, er kam sich fast lächerlich vor, aber dann dachte er: Sie machen es ja alle so, und folglich brauche ich mich vor niemand zu genieren. Und als er es dauernd übte, meinte er: was für ein Geheimnis doch oft in den unscheinbarsten Sachen steckt! Dies neue R ist doch wirklich beinah wie ein Zaubermittel! Alles klingt gleich, wie in eine ganz andere Sphäre erhoben“ (PuF 154, 11 – 20). Dr.Krokowskis R - Laut: S.191, 31; 290, 33 – 291, 3; 551, 5 ff.; 553, 9 ff.; 553, 27 f.; 555, 11 f.; 556, 1 f.; 1017, 16 ff.; 1019, 31 f.;1020, 5; 1023, 15; 1023, 18 f.: „Menschenbduder“.
Hände (PuF 364, 30 – 365, 12; 70, 29 – 34; Zb 119, 3 - 11), Nagelpflege (PuF 147, 33; 267, 23 f.; Zb 119, 11 ff.) und Beschreibung der Kosmetikartikel auf dem Waschtisch von Fox (PuF 148, 1 – 6; Zb 61, 7 ff.) sind gemeinsame Merkposten.
„ Fox wiegte den Kopf und bewegte stirnrunzelnd die Lippen, als schmecke er etwasUnangenehmes“ (Zb 173, 33 ff.). In seiner letzten Lebenszeit hatte Dr. Blumenkohls Gesicht immer stärker „den Ausdruck angenommen, als habe er etwas schlecht Schmeckendes im Munde“ (Zb 544, 1 ff.).
Anmerkungen:
1. Die Zahlen in Klammern (Seite, Zeilenangabe) verweisen auf Thomas Manns DerZauberberg, Bd. 5/1(Textband) -2 (Kommentarband) – M. Neumann - der Großen kommentierten Frankfurter Ausgabe, S.Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2002. Hervorhebungen durch Fettdruck vom Autor. Abkürzung: Zb Friedrich Huch,Pitt und Fox. Die Liebeswege der Brüder Sintrup, Dietrich’sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1964. Abkürzung: PuF
2. Vgl. Beitrag: Hans Castorp, in re Hans Brotsack.
3. Auch zum Namen Bornemann ist ein ähnlich lautendes Adjektiv gesetzt: „Fox fragte, wie das denn möglich sei, daß sie (sc. Lotte) die Enkelin von Frau Bornemann wäre, wenn sie Fräulein Pfanz heiße. Da sagte sie, Frau Bornemann sei eben die Mutter ihrer Mutter, und darauf sah er so perplex aus, daß ihr die Worte entfuhren: Sind sie aber borniert! Frau Bornemann war (zwar) über das unhöfliche Betragen ihrer Enkelin zunächst sehr erschreckt“ (PuF 101, 23 – 27; auch 135, 1). „störrisch“ geht auf Storren „Baumstumpf“ zurück (Wahrig, a.a.O., S. 1208). Vgl. zu Frau Stöhr: Kommentarband, S. 64, 66, 162.
4. Wahrig, a.a.O., S. 1208, s.v. „Stör“.
5. Ibid., S. 924, s.v."Nippes“. Zu Hermann Stehr vgl. Beitrag: Frau Caroline Stöhr.
6. Vgl. Beitrag: Die „Geschichte von dem Sohn und Ehemann“ (Zb 302, 15 – 31).