Spuren im „Zauberberg“: „Auf `m Wase graset d‘ Hase ond em Wasser gambet d'Fisch"
(Schwäbisches Volkslied)
Die erste Strophe dieses schwäbischen Volksliedes beantwortet uns die Frage, warum Frau Stöhr aus Cannstatt (Cannstadt) kommt und einen Musiker zum Gatten hat.
Die Strophe lautet:
Auf ‘ m Wase graset d‘ Hase ond em Wasser gambet d’ Fisch;
Lieber will I gar koi Schätzle, als no so en Fedrewisch,
lieber will i gar koi Schätzle, als no so en Fedrewisch. (1)
Folgende Argumente lassen sich dafür anführen:
1. Frau Stöhr ist nach einem Fisch benannt (2).
2. Frau Stöhr hat „Hasenzähne“ (Zb 70, 12; 116, 11; 483, 1; 547, 17). An einer anderen Stelle weist uns Thomas Mann ebenfalls deutlich auf den „Hasen“ Stöhr hin: Settembrini kommt entnervt von einem Tisch im Speisesaal zum Tische von Frau Stöhr: „Kurzum, ich kann nicht mehr, ich (sc. Settembrini) habe mich aus dem Staub gemacht.“ „Fluchtartig haben Sie das Panier ergriffen,“ sagte Frau Stöhr; „das kann ich mir denken.“ „Exakt!“ rief Settembrini. „Das Panier! Ich sehe, hier weht ein anderer Wind, - kein Zweifel, ich bin vor die rechte Schmiede gekommen. Fluchtartig also ergriff ich es … Wer so seine Worte zu setzen wüßte!“ (Zb 229, 20 – 27). Für die Bedeutung „die Flucht ergreifen, ausreißen“ heißt das Bild bekanntlich „das Hasenpanier ergreifen“ (3)
Federbesen ist ein „Besen mit zusammengebundenem Federbusch zum Staubwischen“ . (4) Frau Stöhr kommt beim Fasching als „Scheuerweib“: „Sie verschwand, um nach kurzer Zeit als Scheuerweib wiederzukehren, mit geschürztem Rock und aufgestülpten Ärmeln, die Bänder ihrer Papierhaube unter dem Kinn geknotet und bewaffnet mit Eimer und Besen, die sie zu handhaben begann, indem sie mit dem nassen Schrubber unter die Tische, den Sitzenden zwischen die Füße fuhr“ (Zb 495, 1 – 7).
Sie tanzt mit ihrem Besen: „ und was die Stöhr betraf, so tanzte sie mit ihrem Besen, den sie ans Herz drückte und dessen Borsten sie liebkoste, als wären sie eines Menschen aufrecht stehendes Haupthaar gewesen“ (Zb 510, 8 – 11). Dahinter steht die Vorstellung des „Putzfimmels“ schwäbischer Hausfrauen (vgl. auch Zb 523, 28 f.). Das Volkslied beklagt gerade diese Eigenschaft.
4. Der „ Wasen“ liegt in Cannstatt und ist Namen für ein altes und weithin bekanntes Volksfest ("Cannstatter Wasen"). Die Zahl 28 der Fischsaucen von Frau Stöhr (Zb 129, 2 .- 10; 132, 32 - 133, 17) lässt sich auf das Cannstatter Volksfest zurückführen: Das erste Cannstatter Volksfest fand am 28. September 1818 statt. (5)
5. Cannstatt ist eine alte römische Siedlung. Schon die (unwissenschaftliche) Herleitung des Namens aus canna, ae „Rohr, Rohrpfeife, Rohrflöte“ könnte dann die Einführung eines Musikergatten aus Cannstatt (Zb 28, 31) nahelegen. Erst recht ist dies der Fall, wenn ein Lied zur Vorlage dient.
6. Die Verwendung eines Volksliedes im „Zauberberg“ liegt auch sonst vor: Ellen Brand nimmt Staatsanwalt Paravant bei der Hand „und führte ihn zum Klavier, wo sie mit seinem Zeigefinger den Anfang des Liedchens „Kommt ein Vogel geflogen“ spielte“ (Zb 995, 1 ff.).
Anmerkungen:
1. Deutsche Weisen, herausgegeben und gesetzt von Willy Schneider, Bärenreiter Kassel 1958, S. 107. Die Zahlen in Klammern (Seite, Zeilenangabe) verweisen auf Thomas Manns Der Zauberberg, Bd. 5/1(Textband) -2 (Kommentarband) – M. Neumann - der Großen kommentierten Frankfurter Ausgabe, S.Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2002. Hervorhebungen durch Fettdruck vom Autor. Abkürzung: Zb
2. Vgl. den Beitrag: Spuren im „Zauberberg“: Friedrich Huch, Pitt und Fox.
3. Wahrig, a.a.O., S. 604, s.v. „Hasenpanier“.
4. Ibid. S. 461, s.v. „Federwisch“ und „Federbesen“.
5. Thomas Mann geht haushälterisch mit Zahlen um: Zimmer Nr. 28 ist Sterbezimmer der kleinen Hujus (Zb 85, 13 f.); Joachim (Zb 754, 8; 757, 24); Chauchat (Zb 316, 11).