Spuren im „Zauberberg“: Jack London, König Alkohol (1913)
Der Titel der deutschen Übersetzung “König Alkohol” ist ungenau. Die amerikanische Originalausgabe führt den Titel: „John Barleycorn: Alcoholic Memoirs“. (1) „barleycorn“ heißt übersetzt „Gerstenkorn“: ein Leitmotiv des „Zauberbergs“.
Der Leser des „Zauberbergs“ denkt dabei zunächst an das „Gerstenkorn“ der Adriatica von Mylendonk (Zb 254, 17; 320, 7 ff.). (2) „Gerstenkorn“ ist hier eine Metapher (besser: eine „Exmetapher“) für eine „eitrige Entzündung einer Talgdrüse am Augenlid“. (3) Bei der weiteren Ausgestaltung Mylendonks wird „Gerstenkorn“ wieder auf die Standardbedeutung „Frucht der Gerste“ zurückgeführt. Hier bestätigt sich nun unsere frühere Vermutung, dass hinter dem Namen „Mylendonk“ die Metapher „Mühlenesel“ zu lesen ist (4). Die Oberin bekommt deshalb den Namen Mylendonk, weil sie (über ihr „Gerstenkorn“ am Augenlid hinaus) in das Metaphernfeld „Gerstenkorn“ eingebunden wird und als „Mühlenesel“ am Verarbeitungsprozess von Gerste teilnimmt.Die „Oberin mit dem Gerstenkorn“ in Davos (Katia Mann) findet damit ein literarisches Fundament. (5) Mylendonks Benehmen kann zudem als „stachelig“ (etymologische Ableitung von „Gerste“) bezeichnet werden. (6)
Der Bereich „Gerstenkorn“ wird weiter ausgedeutet.
An ein „Gerstenkorn“ erinnert die häufig vorkommende Farbe „Gelb“. (7).
Herausgehoben wird Krokowski. Er lächelt „kernig“, „so daß in seinem Barte die gelblichen Zähne sichtbar wurden“ (Zb 278, 32 f.) „Dr. Krokowski hatte kernig lächelnd seine gelben Zähne im Barte gezeigt“ (Zb 527, 8 f.). „In Dr. Krokowskis Barte zeigten sich beständig mit jenem kernigen und zum Vertrauen auffordernden Ausdruck seine gelben Zähne“ (Zb 1017, 16 ff.; vgl. auch 30, 30 ff.; 290, 29 f.; 501, 10; 553, 23; 995, 29). Auch der Name Krokowski ist gelb gefärbt, nämlich „safrangelb“ (altgriechisch „krókos“: Safran). „Kernig“ ist etymologisch mit „körnig“ verwandt (8). Das Wort „körnig“ kommt im „Zauberberg“ vor: Die Leinwand des „Malers“ Behrens ist „körnig“ (Zb 392, 4 f.). Krokowkis Bart erinnert (auch wenn er schwarz ist) an Grannen.
Aus Gerstenkorn kann man Bier, Schnaps und Brot herstellen.
Castorp trinkt gerne Bier. (9) Bierbrauer Magnus wird oft erwähnt. (10) Den Drang von Joachim, zum Militärdienst zurückzukehren, bezeichnet Behrens als „Biereifer“ (Zb 74, 8). Castorp trägt den „Brotsack“ in seinem Zweitnamen. (11) Die Gesellschaft spielt mit „Brotkügelchen“ (Zb 118, 4; 213, 15 ff.; 219, 29; 346, 20).
Peeperkorn bestellt „Brot“ (Zb 834, 15: „Genever“; 838, 30; 862, 33). „Er ließ holländischenGenever dazu schenken, eine volle Runde, und zwang alle, das klare Naß, dem ein gesunder Duft nach Getreide mit einem zarten Einschlag von Wacholder entströmte, mit gespannter Andacht zu sich zu nehmen“ (Zb 852, 10 – 14). Barleycorn trinkt mit zwei anderen Matrosen aus Flaschen, „in denen früher holländischer Genever gewesen war“ (KA 74, 28 f.; 132, 4).
Peeperkorns oftmalige Bezeichnung als „König“ (12) geht ohne Zweifel auf den vielfach genannten „König Alkohol“ in Jack Londons Roman zurück (13). Peeperkorn ist aber nicht nur „König“ in der Berghof - Gesellschaft, sondern durch seinen „ungewöhnlichen“ Alkoholkonsum auch leibhaftiger Repräsentant des "Alkohols" (Zb 838, 28 – 32). (14)