In der Novelle „Waldwinkel“ nimmt der „löwengelbe Hund“ Leo des Protagonisten Richard eine Sonderrolle ein (Sto I 641, 16; I 653, 7 f.; I 662, 15; 671, 17; I 688, 26 f.). (1) Die Farben des Hundekopfes werden auf Dr. Krokowski übertragen.(2) Das Tier besitzt einen „schwarzgelben Hundekopf“(Sto I 657, 9). (3) Hauptsächlich mit den Farben Schwarz und Gelb wird Dr. Krokowski gezeichnet: Schwarz sind Brauen, Vollbart, Sakkoanzug, Halbschuhe, dunkel „die Glut seiner Augen“. Blässe und „weiße Fäden“ werden als Kontrastmittel hinzugefügt. Bei der Begrüßung Castorps werden „die gelblichen Zähne“ Krokowskis sichtbar (Zb 30, 19 – 31; „gelbe Zähne“ auch 278, 32; 290, 29 f.; 527, 8 f.; 553, 23).
Man kann sich natürlich angesichts einer Farbenzusammenstellung fragen, ob hier die Suche nach Abhängigkeiten nicht überstrapaziert wird. Ein überzeugendes Indiz dafür, dass Thomas Mann diese Novelle im Blick hatte, ergibt sich aber zusätzlich aus einer merkwürdigen Motivverbindung:
Dr. Krokowski wird von Frau Stöhr als „fomulus“ bezeichnet (Zb 29, 1). „Fomulus“ löste sich uns als „Fonds“ – mulus“ auf (4). Dies bestätigt sich durch die Quelle: „Famulus“ und Wertpapiere werden in der Novelle „Waldwinkel“ zusammengebracht: Franzi ist Richards „Famulus“ (Sto I 674, 9) und interessiert sich stark für die „Kurse“ der „Staatspapiere“ (Sto I 670, 9 - 22).
Zwei weitere Beobachtungen sollen angeführt werden: „Leo“ ist der Vorname Naphtas (Zb 663, 1) und Dr. Blumenkohls (Zb 113, 14). Richard ist ein Botanikus (Sto I 637, 18; I 643, 1. 37; I 677, 29; I 688, 23) wie Krokowski (Zb 550, 8 – 12; 551, 7.31).
Schon früh im Roman lässt Joachim seinen Vetter Hans „eine flache, geschweifte Flasche ausblauem Glase mit einem Metallverschluß“ sehen, die er in der Seitentasche verwahrt (Zb 17, 33 – 18, 5). Das Tragen eines solchen Spucknapfes war für die Davoser Lungenkranke Pflicht und wird somit Thomas Mann von der Realität her nahegelegt. (5) Die folgende literarische Quelle könnte aber für den Eingang in den Roman gesorgt haben:
In der Novelle „Im Nachbarhaus links“ wird von einer „reichdotierte(n) Versorgungsanstalt für ausgebrauchte Seeleute und Soldaten berichtet. „Unter den Linden vor dem schönen Hause, draußen auf einem Hügel vor dem Nordertor, das sie (sc. die Stifter) gemeinschaftlich bewohnten, sieht man jetzt reihenweise die alten Burschen mit ihren blauroten Nasen vor der Tür sitzen; die einen in alten roten oder blauen Soldatenröcken, die andern in schlotterigen Seemannsjacken, alle aber mit einem Pfeifenstummel im Munde und einem Schrotdöschen in der Westentasche. Bleibt man ein Weilchen auf dem Wege stehen, so sieht man sicher bald den einen, bald den anderen ein grünes oder blaues Fläschchen aus der Seitentasche holen und mit wahrhaft weltverachtendem Behagen an die Lippen setzen. Die Fläschchen, über deren Inhalt kein gerechter Zweifel sein kann, nennen sie ihre >Flötenvögel<; und für diese Vögel, welche – getreu dem Willen der Stifter – nur zu oft gefüllt werden, sind jene drei Viertel des ungeheuren Vermögens bestimmt worden“ (Sto I 751, 2 – 24; vgl. auch I 760, 35 – 38; I 770, 1; I 21 - 25).
Die Anregung für den „Zauberberg“ ist offensichtlich: Aus der „Versorgungsanstalt“ wird ein Luxussanatorium, aus einem Hügel ein Berg. Die „ausgebrauchten“ Seeleute und Soldaten werden durch die beiden „Berufsanfänger“ Castorp (Schiffsbau) und Ziemßen ersetzt. Statt einer Flasche, die geleert wird, wird auf eine Flasche zurückgegriffen, die gefüllt wird (Zb 17, 31 – 18, 5). Der Spitzname für den Taschenspucknapf ist „Blauer Heinrich“ (Zb 120, 25 f.).Frau Stöhr lästert über Dr. Blumenkohl, der zum Sputum weggeht: „Der pfeift bald aus dem letzten Loch“ (Zb 120, 24 f.), eine Anspielung auf den „Pfeifenstummel“. Der (ständige) „Pfeifenstummel“ im Munde führt zu einer gelungenen Wortschöpfung: „>Quecksilberzigarre< für >Thermometer<. ist doch ausgezeichnet, ich habe es gleich verstanden …“ (Castorp, Zb 76, 9 f.; 75, 2). Die Zigarre erfüllt für Castorp die Funktion eines Thermometers: Herrschte „der abscheuliche Ledergeschmack“ vor (Zb 110, 12 f.; 135, 26 ff.), ist sie Indikator für Castorps Hitze. Bekanntlich bietet Mylendonk zwei „längliche Lederetuis“ mit Thermometer an (Zb 256, 9).
Warum kommt die Musikerfamilie Stöhr im „Zauberberg“ aus Cannstatt (Zb 28, 30 f.; 523, 29)? In Storms Novelle „Es waren zwei Königskinder“ wird Cannstatt genannt (Sto II 274, 37; 276, 8). Auch die Verbindung mit Musik ist gegeben: Die Studenten Fritz, Walther, Marx (Lavendel) und Franz sind an der „Hochschule der Musik“ in Stuttgart (Sto II 270, 21). Sie wandern in der Nacht durch Cannstatt nach Waiblingen. In Cannstatt erleben sie einen schwäbischen Polizisten, der durch ihr Singen auf sie aufmerksam wird (Sto II 276, 7 – 25). (6)
Noch ein andere eigentümliche Tatsache verdient Aufmerksamkeit: die Zuordnung einer Figur zu einem Duft. Der Student Marx bekommt den Namen „Lavendel“, weil er „nicht ohne Wohlgerüche leben“ kann (Sto II 272, 18 f.). Als es Marx (Lavendel) schlechter ging, hat der Erzähler niemals mehr „einen Wohlgeruch an ihm verspürt, der sonst bald in Rosen -, bald in Veilchen -, oder in dem Dufte seines Namens seinem wohlgepflegten Haar entströmte“ (Sto II 294, 17 – 20).
Nun ist der Musikstudent Marx (Lavendel) ein begnadeter Chopinspieler (Sto II 287, 30 f.; 294, 22 f.). Jeder Klavierspieler kennt die Mazurken von Chopin. Nicht nur das Duftmotiv wird für Marusja von Thomas Mann übernommen, sondern auch das Chopin – Motiv in Form der Mazurka: „>>Und diese Mazurka da, oder wie sie heißt, kommt mir etwas albern vor. Immer muß sie sich das Taschentuch in den Mund stopfen vor lauter Kichern. << Joachim lachte laut über die Namensverdrehung. >>Mazurka ist ausgezeichnet!<< rief er. >>Marusja heißt sie, wenn du erlaubst, - das ist soviel wie Marie<<“. (Zb 112, 18 – 23). Marusja „stopfte ihr Taschentüchlein, das ein Apfelsinenparfüm ausströmte, in den Mund, um ihr Kichern zu ersticken“ (Zb 116, 1 f.; auch 205, 2 f.; 225, 26. 31; 232, 21; 263, 11; 324, 4 f.; 641, 2).
Die Sorgfalt und Souveränität, die Thomas Mann bei der Namensgebung seiner Romanfiguren walten lässt,findet sich schon bei Storm. In der Novelle „Viola Tricolore“ suchen Vater und Stiefmutter einen Namen für ihr gemeinsames Kind:
„>>Rudolf, ich hab etwas entdeckt! << begann jetzt Ines wieder. >> Nimm einmal den ersten Buchstaben meines Namens und setze ihn an das Ende! Wie heißt er dann? << >>Nesi!<< sagte er lächelnd. >> Das trifft sich wunderbar. << >> Siehst du! << fuhr sie fort, >> so hat die (sc. Stieftochter) Nesi eigentlich meinen Namen. Ist’s nicht billig, daß nun mein Kind den Namen ihrer Mutter erhält? – Marie! – Es klingt so gut und mild; du weißt, es ist nicht einerlei, mit welchem Namen die Kinder sich gerufen hören! << Er schwieg einen Augenblick. >> Laß uns mit diesen Dingen nicht spielen! << sagte er dann und sah ihr innig in die Augen. >> Nein, Ines; auch mit dem Antlitz meines lieben kleinen Kindes soll mir ihr Bild nicht übermalt werden. Nicht Marie, auch nicht Ines – wie es deine Mutter wünschte – darf das Kind mir heißen!. Auch Ines ist für mich nur einmal und niemals wieder auf der Welt. <<“ („Viola Tricolor“: Sto I 582, 23 – 38). (7)
Der Erzähler Fritz nennt sich „nordischer Siebenschläfer“ (Sto II 292, 10) (8). Bilder vom verlorenen Sohn hängen im Zimmer von Fritz (Sto II 272, 7 f.) (9)
Der Arzt, der die Mutter Castorps und ihn behandelt, heißt „Dr. Heidekind“. (Zb 34, 10; 59, 26).Der Name könnte aus der Novelle „Renate“ stammen:
„Nun aber hat es bald laut ein Gerücht im Dorf gegeben, und auch dem Onkel Pastor haben alle es erzählt, von denen er es hat hören wollen; man wisse nun, die Hexe von Schwabstedte sei es gewesen, die auf ihrem Roß all Sonntags in das Dorf gekommen; ja derer etliche hatten sichere Kunde, daß sie, unter Vorspiegelung trügerischer Heilkunst, dem armen Herrn Josias das Leben abgewonnen habe“ (I 968, 20 – 26). Diese Frau wird vorher als „Heidefrau“ bezeichnet. (Sto I 968, 4). Wer von dieser dieser Quelle herkommt, könnte daran denken, dass sich die Mutter Castorps wegen der Fehldiagnose Dr. Heidekinds totgelacht hat (Zb 34, 7 – 13). Dr. Heidekind ordnet sich damit ein in die Reihe der anderen Ärzte im „Zauberberg“, die weit entfernt sind vom „idealen“ Arzt: Stabsarzt Dr. Eberding sorgt dafür, dass Hans Castorp nicht zum Militär muss (Zb 57, 18 – 24). Hofrat Behrens lässt sich allzusehr von geschäftlichen Interessen leiten als „Erfinder derSommersaison“ (Zb 97, 21), Verzögerung von Entlassungen und Fehldiagnosen (Zb 297, 16 – 298, 8; Castorp: Zb 949, 1 f.) Professor Kafka lässt seine Patienten im Stich (Zb 98, 3 – 13). Doktor Salzmann verführt seine Patienten zum übermäßigen Weintrinken (Zb 98, 17 – 21). Dr. Krokowski forscht skrupellos (Totenbefragung). Selbst bei einem Medizinstudent wird schon ein Defizit festgestellt: Er kann kein Latein (Zb 347, 23 –26).
Castorp zeichnet „mit der Zwinge seines städtischen, silberbeschlagenen Stockes Figuren imSand“ (Zb 83, 9 f.). Beim Abschied Joachims zeichnete Castorp „nur noch mit seinem Stock auf dem Asphalt“ (Zb 639, 33 f.). (10)
„Dann begann er (sc. der junge Offizier Konstantin) mit der Spitze seines Rohrstocks einen Buchstaben um den andern in den Boden zu zeichnen, die er immer wieder, als könne ein Geheimnis durch sie verraten werden, bis auf den letzten Zug zerstörte. So trieb er es eine Zeitlang“ („Im Sonnenschein“: Sto I 95, 15 – 18).
„Bisweilen, und dann immer öfter, wandte Anna den Kopf und betrachtete verstohlen das Gesicht ihres Jugendgespielen, der mit seinem Spazierstöckchen den Namen einer berühmten Kunstreiterin in den Sand schrieb“ („Carsten Curator“: Sto I 881, 6 – 9).
Hofrat Behrens ist „aus dem Nordwesten Deutschlands gebürtig“ (Zb 201, 30 f.). In der Novelle „Renate“ heißt der Wirt im Dorfe Schwabstedt bei Husum Peter Behrens (Sto I 910, 9). Der Vorname Peter wird für einen der Söhne Tienappels verwendet (Zb 49, 19). Der Name Hans zeigt sich in Verbindung mit Gerste und Weizen: „>> Den kennet Ihr nicht, Herr Studiosi; das ist des Bauervogten Sohn; der ist ein Prunkhans, er trotzet auf seines Vaters Geldsack und meinet, er brauche nur zu winken<<. Gläubete wohl ihrer Rede; denn es kostete dazumal noch die Last Gerste hundert und der Weizen mehr denn hundertundfünfzig Thaler“ (Sto I 924, 30 – 35). (11)