Die Schilderung eines Jahrmarkts in der Novelle „Auf der Universität“ ist Assoziationsfeld für Motive des „Zauberbergs“:
Auf einem Rasenstück „war seit gestern ein Karussell aufgeschlagen; denn es war Frühling, es war auch Jahrmarkt, eine ganze Woche lang. Die Leierkastenmänner waren eingezogen und vor allem die Harfenmädchen; die Schüler mit ihren roten Mützen streiften Arm in Arm zwischen den aufgeschlagenen Marktbuden umher, um wo möglich einen Blick aus jungen asiatischen Augen zu erhaschen, die zu gewöhnlichen Zeiten bei uns nicht zu finden waren. – Daß während des Jahrmarktes die Gelehrtenschule, wie alle andern, Ferien machte, verstand sich von selbst. – Ich hatte das vollste Gefühl dieser Feiertage, zumal ich seit kurzem Primaner war und infolgedessen neben meiner roten Mütze einen schwarzen Schnürenrock nach eigener Erfindung trug. Brauchte ich nun doch auch nicht mehr wie sonst abends an dem Treppeneingang des erleuchteten Ratskellers stehenzubleiben, wo sich allzeit das schönste luftigste Gesindel bei Musik und Tanz zusammenfand; ich konnte, wenn ich ja wollte, nun selbst einmal hinabgehen und mich mit einem jener fremdartigen Mädchen im Tanze wiegen, ohne daß irgend jemand groß danach gefragt hätte“ („Auf der Universität“: Sto I 274, 32 – 275, 18).
Die Leierkastenmänner weisen auf Settembrini. (12) Die Schulgeschichte übernimmt Elemente: Der Schulhof ist „mit roten Klinkern gepflastert“ (Zb 183, 32 f.), Castorp bewahrt die „rot lackierten“ Schnitzel des Bleistifts auf (Zb 188, 18 f.). Die „asiatischen Augen“ entsprechen den „Kirgisenaugen“ Pribislavs (Zb 185, 12) und den „schmale(n) Augen“ Chauchats (Zb 119, 24). Sind diese fremdartigen Mädchen die „russischen Tänzerinnen“ für „physiognomische Studien“? (13)
Bezeichnend für Thomas Mann ist die folgende Übernahme eines „romantischen“ Motivs:
„Der Mond schien auf Anne Lenes kleineHand, die ruhig in der meinen lag. Ich hatte nie das Mondlicht auf einer Mädchenhand gesehen, und mich überschlich jener Schauer, der aus dem Verlangen nach Erdenlust und dem schmerzlichen Gefühl ihrer Vergänglichkeit so wunderbar gemischt ist“ („Auf dem Staatshof“: Sto I 159, 29 – 33).
Behrens „war dann noch so freundlich, zu erlauben, daß der Patient seine eigene Hand durch den Leuchtschirm betrachte, da er dringend darum gebeten hatte. Und Hans Castorp sah, was zu sehen er hatte erwarten müssen, was aber eigentlich dem Menschen zu sehen nicht bestimmt sein könne,es zu sehen: er sah in sein eigenes Grab. Das spätere Geschäft der Verwesung sah er vorweggenommen durch die Kraft des Lichtes …“ (Zb 332, 32 – 333, 7). (14)
Im Gespräch mit Chauchat bedient sich Castorp neben der Distanzierung durch einer Fremdsprache auch der naturwissenschaftlichen Betrachtungsweise beim Preise des menschlichen Körpers (Zb 519, 14 – 30). Der Doktor (Christoph) bekommt über seinen Freund Eduard von Sophie einen ablehnenden Bescheid auf seinen Heiratsantrag (Sto I 194, 17 – 37).Er versucht „das Gleichgewicht seines Herzens“ wieder herzustellen durch die Überlegung, „ein Mannsbild höherer Gattung, so ein gewöhnlicher Engel etwa, würde hinwieder vielleicht für die kleine Sophie nichts mehr empfinden, als ich für diesen Sommervogel (sc. einen Schmetterling); --er würde sie vielleicht nur mit einer besonderen naturwissenschaftlichen Neugierde betrachten und nicht ohne ein gewisses Grauen vor dem fremdartigen Wesen den ambrosischen Finger an ihre kleine Schulter legen“ („Drüben am Markt“: Sto I 196, 16 – 22).
Eine Abschiedszene mit heimlicher Anwesenheit des Liebhabers findet sich schon bei Storm: Arnold, der Lehrer des kleinen Kuno, verlässt das Schloss. Anna, die ihn liebt, verabschiedet ihn nicht, sondern sieht nur heimlich zu, wie er weggeht.„Während ich (sc. Anna) in dem Gange hinter dem Laubschlosse auf und ab ging, sah ich Arnold in dem Hauptsteige herabkommen; er stand mitunter still und blickte um sich her; ich fühlte wohl, daß er mich suchte. Aber ich ging ihm nicht entgegen; ein Trotz, eine Wollust des Schmerzes überfiel mich; ich sollte ihn auf immer verlieren, so wollte ich auch diese letzten, armseligen Minuten von mir werfen. Ich schlich mich leise durch die Büsche in die Seitenallee und floh wie ein gejagtes Wild den Steig hinab. Unten durch eine Lücke des Zaunes schlüpfte ich in das angrenzende Gehölz. Dann, nachdem ich seitwärts durch die Bäume gegangen war, so weit, daß ich den Haupteingang des Gartens überblicken konnte, stand ich still und schlang den Arm um einen Tannenstamm. Ich sah noch, wie Arnold aus dem Garten trat, wie hinter ihm das eiserne Gittertor zuschlug. Ich rührte mich nicht; als ich nach einer Weile hörte, wie der Wagen über das Steinpflaster des Hofes rollte, warf ich mich auf den Boden und weinte bitterlich“ („Im Schloß“: Sto I 245, 21 – 37) Zb 527 Anna sieht aus einem Gehölz zu, Castorp von einem Korridorfenster aus zu (Zb 526, 11 – 14). Anna und Castorp wechseln den Standort, um noch einmal Arnold bzw. den Schlitten zu sehen. Anna wirft sich auf den Boden, Castorp in seinen Stuhl (Zb 527, 28). Anna weint, Castorp ist bleich (Zb 527, 24). Arnold sucht Anna. Chauchats Augen überfliegen die Front des Berghof – Hauses und sie sieht ihn nicht durch Suchen, sondern mehr passiv als aktiv (Zb 527, 19 – 24). Der Mannheimer sieht Castorp (Zb 527, 14 f.).
Als Kind besucht der Erzähler und Protagonist Christian Valentin in der Novelle „Ein stillerMusikant“ oft einen Platz außerhalb der Stadt, „wenn in der Hecke sich der Hagedorn mit seinem Blumenschnee bedeckte oder wenn alles ausgeblüht hatte“ (I 697, 7 f.). „Aber niemals sah ich diesen Ort in solcher Schönheit wie in jenem Frühling. Gleich mir waren auch die Bienen schon ins Feld hinausgezogen; wie Musik wob und summte es über tausend Veilchenkelchen, die wie ein blauer Schein aus Gras und Moos hervorbrachen. Mein ganzes Schnupftuch pflückte ich voll; mir war wie ein Seliger in diesem Duft und Sonnenschein“ (I 697, 12 – 17).
„Sie (sc. die Berghofgesellschaft) sahen es näher an, sie beugten sich staunend darüber, - das war kein Schnee, es waren Blumen, Schneeblumen, Blumenschnee, kurzstielige kleine Kelche, weiß und weißbläulich, es war Krokus …“ (Zb 548, 11 – 14.26; 549, 1). (15)
Der Protagonist in der Novelle „Der Doppelgänger“, John Hansen (John Glückstadt) verübt mit dem „wegen Trunkfälligkeit aus der Arbeit gejagten“ Wenzel einen Einbruch und wird gefasst. Nach Verbüßung einer Haftstrafe wird John Hansen Aufseher über eine Plantage: Die Felder „dienten damals einem vielgeschäftigen Bürger zum Zichorienbau, und die dazu gedungenen fünfzig oder sechzig Weiber und jungen Dirnen begannen eben auf der ungeheuren Fläche das Unkraut zwischen den Pflanzen auszujäten; vom Wege aus, der an der Stadt entlanglief, hörte man schon von weitem das Schwatzen der Weiber wie einen Mühlbach rauschen; mitunter auch stieg daraus ein silberhelles Lachen in der Luft empor“ (Sto II 487, 5 – 12). John Hansen verliebt sich in die junge Arbeiterin Hanna. (Sto II 487, 34 – 37). „Im September, gegen Abend, wurde auf dem Packboden des ungeheueren Speichers das >>Zichorienbier<< gefeiert … und in dem dämmerigen Gemunkel wurde eine Klarinette und ein paar Geigen laut, wonach die jungen Dirnen längst die Hälse gestreckt hatten“ (Sto II 491, 1 – 13).
Offensichtlich ist dies eine Vorlage für die folgende Szene im „Zauberberg“: „Bei der Abendgeselligkeit klimperte er (sc. Wenzel) zuweilen auf einer bebänderten Mandoline die Lieder seiner Heimat (sc. Böhmen) und erzählte von seiner Zuckerrübenplantage, auf der lauter hübsche Mädchen arbeiteten. Schon in Hans Castorps Nähe folgten dann zu beiden Seiten des Tisches Herr und Frau Magnus, die Bierbrauersgatten aus Halle“ (Zb 642, 1 – 7).
Der Name Wenzel (Sto II 485, 15 f.; 515, 13; 516, 17. 21. 29; 517, 21; 521, 22) führt nach Böhmen und zum Trinken. Der Wenzel des „Zauberbergs“ bekennt sich zum „Antialkoholismus“ (Zb 642, 22). Der „Zichorienbau“ entwickelt sich zur böhmischen „Zuckerrübenplantage“. Der erotische Aspekt bei Storm wird so übernommen. Aus den Klarinetten und Geigen wird die Mandoline. Vom „Zichorienbier“ und dem böhmischen Trinker Wenzel stammt der Einfall, Bierbrauersgatten in den „Zauberberg“ einzuführen und szenisch mit Wenzel zu verbinden. (16)
Um die Sitzordnung im Wagen geht es in der Novelle "Draußen im Heidehof" (vgl. die Abfahrt zum Wasserfall : Zb 931, 26 – 32: 932, 11 f.): „Ich (sc. der erzählende Amtsvogt) sah aber auch, wie er sie nach dem vorderen Wagensitze hinzudrängen suchte; allein sie entschlüpfte ihm und hatte sich im Augenblick auf dem zweiten Stuhl neben der dicken Frau zurechtgesetzt … Der junge Bauer blieb noch wie unentschlossen an dem Wagen stehen. Dann zupfte er dem Mädchen an den Kleidern. >>Margret! << stieß er dumpf hervor, >>setz dich nach vorne, Margret! << >> Viel Dank, Hinrich! <<erwiderte sie laut; ich sitz hier gut genug.<< “ („Draußen im Heidehof“ Sto 499, 19 – 29).
Die bekannte Episode von der Erscheinung Sophies, der älteren Schwester Ellens (Zb 999, 28 – 1000,15), lässt sich in Teilen auf die Novelle „Der Herr Etatsrat“ und „John Riew‘“ zurückführen. (17)
Ellen sieht Sophie: „Sie hatte ein weißes Kleid angehabt und sonderbarerweise einen Kranz von Wasserrosen, schilfigen Mummeln, auf dem Kopf getragen und die Hände an der Schulter gefaltet und hatte ihr zugenickt. >>Ja, aber, Sophie, bist du da? << hatte die angewurzelte Ellen halb freudig und halb erschrocken gefragt. Da hatte Sophie noch einmal genickt und sich darnach verflüchtigt.“ (Zb 1000, 4 – 10).
Die Tochter des Etatsrats heißt Sophie (Sto II 20, 3 f.6), der Kranz ist das „Ding“ dieser Novelle. (18) „Hier sah ich sie (sc. Sophie) … an einem Kranz aus Immergrün und Primeln winden; ich sah sie dann … das dunkle Köpfchen mit dem fertigen Kranze geschmückt, auf den schon dämmerigen Gartensteigen hin und wider wandeln, die Hände ineinandergefaltet … niemals war eine Gespielin bei ihr, welche … sie in ihrem Primelkranze hätte bewundern können. Den letzteren hatte ich einige Tage nach seiner Anfertigung auf einem vernachlässigten Grabe des nahen Kirchhofs liegen sehen; es mochte ihr leid geworden sein, sich so für sich allein damit zu schmücken“ (Sto II 19, 19 – 34). „Wie ein kleiner Geist stand sie vor uns“ berichtet die Schulkameradin Margrete ihren Eltern (Sto II 23, 1). Bei einem Ball trägt Sophie „ein weißes Kleid“ (Sto II 36,17), „in dem duftweißen Kleide mit dem Silbergürtel erschien sie fast nur wie ein Mondenschimmer“ (Sto II 37, 20 ff.). „Sie (sc. Sophie) hielt ihr Antlitz wie das einer schönen Toten mir (sc. dem Tänzer) entgegen“ (Sto II 39, 11 f.).
„Als ich auf den Flur hinaustrat, vernahm ich dort ein halb unterdrücktes Weinen, und da ich den Kopf wandte, sah ich auf den Stufen einer Treppe, die hinter dem Zimmer des Etatsrats in das Oberhaus hinaufführte, eine weibliche Gestalt hingekauert … >> Fräulein Sophie! << rief ich; denn ich hatte sie erkannt“ (Sto II 48, 32 – 49,3). Als er geht, „stand sie noch, die Klinke in der Hand, die großen Augen weit dem Sonnenlicht geöffnet, das von draußen in den dunklen Hausflur strömte; mir aber war, da hinter mir die schwere Tür ins Schloß fiel, als hätte ich sie in einer Gruft zurückgelassen (Sto II, 49, 36 – 50, 3).Tante Allmacht legt einen Kranz auf den Sarg (Sto II 52, 5 f.). Sophie liegt unter dem Hügel, wo der Erzähler einst ihren „Primelkranz“ gefunden hat. (Sto II 52, 19 f.). Sie ist „ein verdämmernder Schatten“ geworden. (Sto 52, 21). Kranz, weißes Kleid, gefaltete Hände, Ort des Geschehens, Erkennen und Todesbezug sind vergleichbare Elemente.
Das „Zunicken“ und der „ Zeitpunkt“ kommt aus der Novelle „John Riew‘ “: Anna geht ins Wasser. Ein Blumenmädchen wirft ihr Frühlingsblumen nach. (Sto II 348,31 – 349, 15). Vorher „nickkoppte“ Anna noch dem Blumenmädchen zu (Sto II 349, 11 f.). Dies geschieht am „Frühmorgen“ (Sto II 348, 29; vgl. „frühmorgens“, Zb 999, 29; „Morgenstunde“, Zb 1000, 14). (19)