Bei dem Versuch, den Namen Clawdia Chauchat zu erklären, war uns die englische Phonetik hilfreich. (1) Wendet man diese Methode auf den Namen Krokowski an, so wird zunächst aus dem Suffix – ski ein sky, also „Himmel“. Das vorausgehende - ow lässt sich unschwer als – of lesen. Was verbirgt sich hinter der Silbe „Krok“? Der Blick in ein englisches Lexikon ermöglicht die Vermutung, dass sich hinter „Krok“ das englische Wort „crook“ verbirgt. Die Bedeutung von crook ist „Gauner, Hirtenstab, Krummstab, Haken“. Krokowski heißt also zunächst „Gauner des Himmels“.
Der „Gauner des Himmels“ muss nicht Jude sein. Dr. Krokowski hat bei seinem ersten Vortrag, dem Castorp zuhört, „Mönchssandalen“ an (Zb 196, 4) und wird mit Jesus verglichen: „Wahrhaftig, er (sc. Krokowski) stand da mit ausgebreiteten Armen und schräg geneigtem Kopf hinter seinem Tischchen und sah trotz seines Gehrockes beinahe aus wie der Herr Jesus am Kreuz“ (Zb 198, 17 – 20). (2) Dies ist aber nicht der einzige Hinweis auf Jesus: „Kommet her zu mir, , sagte er (sc. Krokowski) mit anderen Worten, die ihr mühselig und beladen seid!“. (Zb 198, 24 f.; Matth. 11, 28). Krokowski geriert sich in Haltung und Wort wie Jesus, bietet aber dann die „erlösende(n) Wirkung der Analyse“ an (Zb 198, 18). Das kann man Gaunerei nennen. Durch seine Seelenzergliederung“ (Zb 20, 28 f. 30; 21, 32; 32, 20 f.) und spiritistischen Sitzungen mit dem Medium Ellen Brand wildert Krokowski in himmlischen Gefilden.
Ist Krokowski ein „jüdischer“ Gauner des Himmels?
Das Wort „stämmig“ (Zb 30, 13; 290, 28), weist den Leser ausdrücklich auf die Frage der Herkunft Krokowkis hin. Isr Krokowski von jüdischem Stamme?
Nun sind es gerade jüdische Intellektuelle, die mit der Psychoanalyse die Leerstelle „Christus“ im jüdischen Glauben ausfüllen. Krokowski ist Repräsentant der Psychoanalyse, einer jüdischen Domäne. Bei der ersten Begegnung mit Castorp „brach das Lächeln Dr. Krokowskis wieder siegreich hervor“ (Zb 31, 27 f.). Hier liegt eine Anspielung auf Sigmund Freud vor: Zum Lächeln gehören Mund und Freude. Der zweite Teil von „siegreich“ bezieht sich auf den Jüdischen Psychoanalytiker Wilhelm Reich. (3)
Die besondere „jüdische“ Zuneigung zum Geld wird deutlich in der Bezeichnung Dr. Krokowskis als „Fomulus“ (= Fonds – mulus; Zb 29, 1) (4) Schon das erste Gespräch mit Castorp ist von seinem Geschäftsinteresse bestimmt (Zb 32, 1 – 32).
Dr. Krokowskis Aussehen kann den Eindruck eines Juden vermitteln (Zb 30, 12 – 34). Krokowski ist „bedeutend kleiner“ (Zb 30, 17) als Castorp und Ziemßen. Der ausgewiesene Jude Naphta („Der Kleine“, Zb 582, 1) ist „miekrig von Figur“, wie es Semiten nach Ansicht von Ziemßen nun mal sind (Zb 582, 8 f.). Ausgespart wird allerdings bei Krokowski die Beschreibung eines Gesichtsteils, das einen Juden kennzeichnet: die Nase. Joachim über Naphta: „Und dabei hat er ja eine Judennase, sieh ihn dir doch an!“ (Zb 582, 7 f.).
Die damals gebräuchliche Bezeichnung „Judennase“ könnte sich hinter den anderen Bedeutungen von „crook of sky“ verbergen:
„Haken“ kann metaphorisch allein für Nase stehen oder eine Verbindung eingehen („Hakennase“). Der „Haken des Himmels“ entpuppt sich uns als „krumme Nase des Himmels“. Das auserwählte jüdische Volk des Himmels entspricht auch hier mit Krokowski dem Klischee und besitzt eine in vielen Karikaturen gezeichnete und bezeichnete „Judennase“.
Auch der merkwürdige Zusatz Edhin (Zb 990, 24) ist auf englische phonetische Weise zu erklären. Liest man Edhin rückwärts und fasst das „dh“ als englisches „th“ auf, kommt man auf das englische „nice“, also „nett, angenehm, schön, sauber“. Edhin ist dann Epitheton zu „Judennase“.
Ergebnis: Der zugrundeliegende Namen für die Romanfigur Krokowski ist „Judennase“. Das entspricht Castorps „Brotsack“. Beide sind konzeptionell jüdische Figuren, deren Herkunft Thomas Mann verdeckt. (5)
Anmerkungen:
1. Vgl. Beitrag „Hans Castorps Freundin Clawdia Chauchat“. Die Zahlen in Klammern (Seite, Zeilenangabe) verweisen auf Thomas Manns Der Zauberberg, Bd. 5/1 (Textband) -2 (Kommentarband) – M. Neumann - der Großen kommentierten Frankfurter Ausgabe, S.Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2002. Hervorhebungen durch Fettdruck vom Autor. Abkürzung: Zb
2. Die Erinnerung an den Kreuzestod Christi stellt Dr. Krokowski in die jüdische Ecke. Das Gegenstück ist die Kreuzigung von Naphtas Vater Elia durch Christen (Zb 665, 5 – 9).
3. Diese Bedeutung des Wortes „siegreich“ wird dadurch unterstrichen, dass es bei sonst gleichlautender Formel das Wort „mannhaft“ ersetzt (Zb 290, 30). Thomas Manns Haltung zur Psychoanalyse: Kommentarband, S. 73. Auch für die Botanik ist Dr. Krokowski zuständig (Zb 550, 8 – 12).
4. Vgl. Beitrag „Frau Stöhr und ihr jüdischer Hintergrund“.
5. Vgl. zum Problem: Yahya Elsaghe: „Edhin Krokowski aus Linde bei Pinne, Provinz Posen.“ Judentum und Antisemitismus im Zauberberg und seiner Vorgeschichte. In: Monatshefte für deutsch-sprachige Kultur und Literatur, Vol. 101, No. 1, 2009. University of Wisconsin