Der Jude Heinrich Bermann erzählt eine (abwertende) Anekdote von einem polnischen Juden: >> Sie kennen doch die Geschichte von dem polnischen Juden, der mit einem Unbekannten im Eisenbahncoupé sitzt, sehr manierlich – bis er durch irgendeine Bemerkung darauf kommt, daß der auch Jude ist, worauf er sofort mit einem erlösten >Ä soi< die Beine auf den Sitz gegenüber ausstreckt. << (WiF 146,22–27). Anschließend lässt sich Bermann über die Befindlichkeit von Juden aus (WiF 146, 30 – 149, 11). Eine an sich „harmlose“ Anekdote, erzählt von einer jüdischen Romanfigur eines jüdischen Schriftsteller, wirkt wie ein Freibrief für nachfolgende Literaten. (9)
Die jüdische Sozialdemokratin Therese Golowski hat ein „Gesicht wie aus Elfenbein“ (WiF 77,5). „Elfenbeinfarben“ ist ein ständiges Epitheton von Frau Levi (Zb 78, 32 f.; 107, 17 f.; 170, 21; 192, 11 f.; 293, 29; 547, 13; 638, 30 f.; 952, 28; 1009, 17 f.; 1010, 11 ff.; Zb 1018, 5; 1022, 20 f.).
„Fing hingegen der Vater (sc. Ehrenberg), wie er es vor Leuten und mit offener Absicht am liebsten tat, im Jargon zu reden, so biß Oskar (sc. sein Sohn) die Lippen aufeinander und verließ wohl auch das Zimmer“ (WiF 179,3–6; auch 354, 4). Castorp weist seinen Besucher James Tienappel auf den „Jargon“ hier oben hin (Zb 648, 29).
Schauplatz des Romans ist bekanntlich Wien. Else Ehrenberg wird das „Gemisch von Herrenreiter und Athleten“ als Bräutigam kaum finden (WiF 15, 6). Schon beim Einzug in das Sanatorium hört Castorp ein gräßliches Husten: „>>Ja, << sagte Joachim, >>da sieht es böse aus. Ein österreichischer Aristokrat, weißt du, eleganter Mann und ganz wie zum Herrenreiter geboren (Zb 25, 9 ff.; 363, 15; 434, 12; 441, 6.11.18; 442, 5.9.12; 443, 20; 444, 11). Der Herrenreiter ist aus Kärnten (Zb 444, 13).
Ehrenberg zu Nürnberger: „Wenn man Ihnen einmal den Zylinder einschlägt auf der Ringstraße, weil Sie, mit Verlaub, eine etwas jüdische Nase haben, werden Sie sich schon als Jude getroffen fühlen, verlassen Sie sich darauf“ (WiF 69, 22–25). Der Ausdruck „Judennase“ verwendet bekanntlich Joachim (Zb 582, 8).
Ein Fünfzehnjähriger mit Monokel wird vorgestellt: Oskar Ehrenberg erscheint als Fünfzehnjähriger „mit einem Monokel im Aug, auf der Promenade“(WiF 17, 35 f.). Im „Zauberberg“ erscheint ein „fünfzehn – oder sechzehnjähriger Junge, der ein Monokel eingeklemmt hatte“ (Zb 170, 33 f.; 176, 1 f.; 362, 12 f.).
„Wie es nämlich Frauenzimmer gibt, derentwegen man sich schlägt, so scheint es wieder andre zu geben, über die man sich gleichsam die Hände reicht“ (Doktor von Breitner beim Bericht über die Abreise Oskar Ehrenbergs und des Prinzen von Guastalla nach Indien oder Ceylon, WiF 340, 13 – 16). Beim Gespräch Castorp – Peeperkorn ergibt sich Einverständnis: Die „Liebhaber“ Chauchats halten zusammen (Zb 924, 13–19).
Die Lieder Georgs sind „so melodiös, und einfach, ohne Affektation und Schwulst“ (WiF 135, 25).Frau Stöhr spricht „von der >>Affektation<< ihrer Lungenspitzen“ (Zb 622, 28 f.).
Josef Rosner (in Zivil) schlägt die Hacken zusammen (WiF 22, 26 f.; 101, 6 f.; „salutiert“ 102, 23). Ziemßen grüßt den „Verein Halbe Lunge“ mit zusammengezogenen Absätzen“ (Zb 79, 24 ff.).
„Willy Eißler war gespannt auf das Ergebnis dieser Rassenkreuzung (sc. zwischen Demeter Stanzides und der Rattenmamsell) und vergnügte sich indes damit, Namen für das zu erwartende Kind zu erfinden, wie Israel Pius oder Rebekka Portiunkula“ (WiF 344, 10 – 13).Die Wichtigkeit der Namensgebung in einem Roman wird hier unterstrichen, wobei Vor- und Nachnamen keine Einheit bilden müssen, sondern verschiedene Erwartungshorizonte eröffnen.
Nach Ablauf des Freiwilligenjahres provoziert Leo Golowski den Oberleutnant zum Duell und kündigt ihm an: „ >>Gestern, Herr Oberleutnant, sind Sie mehr gewesen als ich, jetzt sind wir vorläufig einmal gleich – aber morgen um die Zeit wird wieder einer von uns mehr sein als der andere. << >> Etwas talmudisch<<, bemerkte Breitner(WiF 342, 27 - 30). (10)
Anmerkungen:
1. Arthur Schnitzler, Der Weg ins Freie, 2. Aufl. 2004 (1961), S. Fischer Verlag Frankfurt am Main (Ausgewählte Werke in acht Bänden, hrsg. von Heinz Ludwig Arnold). Abkürzung: WiF. Die Zahlen in Klammern (Seite, Zeilenangabe) verweisen auf Thomas Manns Der Zauberberg, Bd. 5/1 (Textband) -2 (Kommentarband) – M. Neumann - der Großen kommentierten Frankfurter Ausgabe, S.Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2002. Hervorhebungen durch Fettdruck vom Autor. Abkürzung: Zb. 2. Vgl. Beitrag Spuren im „Zauberberg“: Gottfried Keller, Züricher Novellen (1878). Das Sinngedicht (1882). Martin Salander (1886). 3. Vgl. Kommentarband, S. 163; zu Mendelssohn „Die Musik in Geschichte und Gegenwart“ (MGG), 1989, Band 9, S. 59 - 98. 4. Zur Erklärung Anmerkung 1, Akt I, Szene 2 (S. 149): William Shakespeare, A Midsummer Night`s Dream. Ein Sommernachtstraum. Englisch/Deutsch. Übersetzt und herausgegeben von W. Franke. Reclam, Universal-Bibliothek Nr. 9755 (1980). 5. Vgl. Beitrag „Joachim Ziemßens Ohren“. 6. William Shakespeare, a.a.O., Vorwort. 7. Zum Vornamen „Ferdinand“ vgl. Beitrag Spuren im „Zauberberg“: Karl Immermann, Die Epigonen (1836). 8. Vgl. Hermann Greive in: Juden im Wilhelminischen Deutschland 1890 – 1914; ein Sammelband, hrsg. von Werner E. Mosse unter Mitw. von Arnold Paucker, 2. Aufl. 1998 (1976), Tübingen, Mohr Siebeck (Schriftenreihe wissenschaftlicher Abhandlungen des Leo-Baeck-Instituts, Bands 33), S. 381 f. 9. Vgl. Beitrag "Hofrat Behrens und sein jüdischer Hintergrund"; zu dieser jüdischen Eigenart: Robert Weltsch in: Juden im Wilhelminischen Deutschland, a.a.O., S. 701-702. 10. Hinweis auf die jüdische Weisheitsliteratur als Quelle für den „Zauberberg“. Vgl. Beitrag Spuren im „Zauberberg“: Eine Legende aus dem Talmud.