Der 24-jährige Alexander Hanka hat ähnliche Probleme wie Hans Castorp:" Er empfand Widerwillen und Furcht vor der Arbeit. In ihm war ein starker Strom von Erkenntnis, aber ein dünnes Flüßchen von Tatkraft" (Mo 100, 23 - 26, 20. Kapitel; Zb 56, 22 - 57, 17). "Er dachte an Beate, an nichts anderes als an Beate. Drei Wege gibt es, sinnierte er; entweder ich gehe fort und lasse mich nicht wieder sehen; oder sie wird meine Geliebte; oder ich heirate sie" (Mo 101, 1 - 5, 20. Kapitel). (6) Auch Castorp reflektiert sein Verhältnis zu Chauchat. Eine Abreise scheidet Castorp aus (Zb 376, 31: "schmaläugige Frau"; 636, 9; 925, 23f.). Eine Heirat wird nicht erwogen:" Die unbestimmt gespannten Beziehungen, die sein Schauen und Betreiben zwischen ihm und der Russin hergestellt hatte, waren außergesellschaftlicher Natur, sie verpflichteten zu nichts und durften zu nichts verpflichten (Zb 219, 17 - 20; vgl. auch 919, 26 - 31). Er war sich bewußt, "daß tiefe Klüfte ihre Existenz von der seinen trennten, und daß er vor keiner Kritik, die er anerkannte, mit ihr bestehen würde" (Zb 219, 32f.). Chauchat wird seine "Geliebte" (Zb 919, 19 - 25).
"Er (sc. Hanka) lebte in allem, was verdarb, was sich zum Tode neigte und an den Gesetzen der Veränderung teilnahm. Er sah das Wasser schon als Wolke, die Wolke als Regen. Keine Bewegung, kein Lächeln, kein Entschluß, der nicht den Lauf der Schicksale unterbrechen und verwandeln, keine Speise, kein Trank, kein Härchen des Körpers, das nicht auf seine besondere Weise das Ende bringen konnte" (Mo 281, 6 - 13, 50. Kapitel). Hier könnte eine Anregung für Castorps Hypochondrie und Nekrophilie vorliegen.
"Man hörte die Stimme des Doktor Bernay: "Gebt uns reinen Boden, Luft, Wald, Acker, und wir werden edle Menschen hervorbringen." Alle erhoben sich. "Der alte Rousseau - Schwindel", sagte ein Herr mit langen weißen Haaren. Bernay trat vor den würdigen Herrn: "Rousseau! Was für ein Mißverständnis!" rief er. "Wir wollen die Rasse erneuern. Kein phantastisches Zukunftsideal. Wir wollen Männer. Immer hört man von der Frauenfrage schwatzen. Es ist endlich einmal Zeit, von der Männerfrage zu reden" (Mo 152, 26 - 153, 4, 29. Kapitel). Kritik an Rousseau äußert Naphta: "Krankheit sei höchst menschlich, setzte Naphta sofort dagegen; denn Mensch sein, heiße krank sein. Allerdings, der Mensch sei wesentlich krank, sein Kranksein eben mache ihn zum Menschen, und wer ihn gesund machen, ihn veranlassen wolle, seinen Frieden mit der Natur zu schließen, >>zurück zur Natur zu kehren<< (während er doch nie natürlich gewesen sei), alles was sich heute von Regeneratoren, Rohköstlern, , Sonnenbademeistern und so fort prophetisch umhertreibe, jede Art von Rousseau also erstrebe nichts als seine Entmenschlichung und Vertierung ..." (Zb 700, 22 - 31).
Schulmeister Specht ist (zunächst) Sozialist (Mo 23, 18f., 4. Kapitel; 145, 10, 28. Kapitel). Auch das Motiv des Buchausleihens (Mo 53, 28ff., 12. Kapitel; 145, 15 - 18) findet sich bei Naphta (Zb 595, 3ff.; 611, 31ff.).
Anmerkungen:
1. Jakob Wassermann, Der Moloch, Volksverband der Bücherfreunde, Wegweiser - Verlag G.m.b.H., Berlin (o.J.). Abk.: Mo. Zusätzlich zu Seite und Zeile wird das Kapitel angegeben für die Benützung anderer Ausgaben. 2. Thomas Manns Der Zauberberg, Bd. 5/1 (Textband) - 2 (Kommentarband) - M. Neumann - der Großen kommentierten Frankfurter Ausgabe, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2002. Hervorhebungen durch Fettdruck vom Autor. Abk.: Zb. Zu "Buch - Arier" vgl. Beitrag 82, 1 und 2. Zur weiteren Benennung "Düstmund" vgl. Beitrag 80, Teil 2. Stellen zum Lieblingswort "düster" im "Moloch": Mo 35, 9; 64, 10; 73, 2; 96, 19; 98, 20; 120, 29; 167, 26; 182, 7; 201, 29; 232, 4; 257, 27; 270, 2; 275, 18; 291, 1. 3. Außer Tetzner (Mo 166, 8, 32. Kapitel) trägt der Jude Elasser einen Schlapphut (Mo 75, 13f., 15. Kapitel; 90, 19, 18. Kapitel). 4. Zunächst harmlose Begriffe kommen sozusagen auf "Taubenfüßen" daher und entpuppen sich später als funebre Chiffren. So etwa das Wort "Lachen": Castorps Mutter "lacht" sich scheinbar zu Tode (Zb 34, 11ff.), Joachim "lächelt" (Zb 814, 24): vgl. Beitrag 72. Behrens wird "Humorist"(Zb 97, 24) genannt, er hat es mit der "Feuchtigkeit" (lat. "humor") zu tun. 5. Castorp küsst die Stirn des toten Joachims (Zb 814, 29ff.). 6. Zur Erheiterung Hankas Gedanken zum Heiraten (Mo 101, 18 - 102, 5, 20. Kapitel): "Eine Promesse auf Sicherheit, systematischer Freiheitsraub, gewohnheitsmäßiges Beisammensein und Langeweile zu zweien. Das Gepäck des Lebens wächst wie im Sommer bei der Eisenbahn; nach dem Jahr der Liebe kommen die Jahre der Pflichten. Es ist wie mit den Schaumtörtchen in der Konditorei; je besser sie sind, je sicherer verderben sie den Magen. Und gesetzt den Fall, ich hätte Nachkommenschaft zu erwarten. Habe ich die Talente eines Erziehers, die Geduld eines Lehrers, die Eigenschaften eines Vorbilds? Ich habe kein Verständnis für Kinder und wäre ein erbärmlicher Vater. Dem veralteten Institut der Ehe neue Glorie zu verschaffen, ist mir also jedenfalls versagt. Wie ist es aber sonst beschaffen, mit der Liebe etwa? Liebt Beate mich? Ein Gedanke von hervorragender Komik. Ich sie? Seit mich auf dem Gymnasium meine Mietsfrau in Begeisterung versetzte, weiß ich von solchen reflektorischen Nervenreizungen nichts mehr. Summa.: wie man es auch betrachtet, nichts Haltbares bleibt; Spinnefäden, die durch die Sonne ziehen".